Die Tiroler EU-Abgeordnete Barbara Thaler berichtet aus dem Europäischen Parlament vom neuen asiatisch-pazifischen Freihandelsabkommen, das 30% der Weltwirtschaft abbildet.
Freihandel ist nicht (mehr) sexy, aber notwendig, um unseren Wohlstand zu halten. Gut gemachte Abkommen stärken Europa in der Welt.
Die Coronakrise hat Europa fest im Griff. Unlängst mussten wir feststellen, dass die Infektionszahlen außer Kontrolle geraten sind. Um ein Kollabieren des Gesundheitssystems zu verhindern, ist ein zweiter Lockdown alternativlos. Dennoch schmerzen diese Maßnahmen die Wirtschaft sehr. Es steht auch die „Gesundheit“ unserer Unternehmen auf dem Spiel.
Während wir hart an den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu knabbern haben, ist die größte Volkswirtschaft der Welt schon wieder voll auf Wachstumskurs. Im zweiten Quartal 2020 ist die Wirtschaft in China um 3,2% gewachsen. Im selben Zeitraum weist die europäische Wirtschaft ein Minus von 11,4% auf. Die asiatische Supermacht hat sich trotz Coronakrise einen signifikanten Vorsprung erarbeitet und die Prognosen sprechen eine deutliche Sprache. China arbeitet sich an die wirtschaftliche Weltspitze und weitet seinen Einfluss mehr und mehr aus. Mit dem Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) konnte nach achtjähriger Verhandlung die größte Freihandelszone aller Zeiten geschaffen werden.
Dieser asiatisch-pazifische Raum umfasst 14 Staaten, beheimatet 2,2 Milliarden Konsumenten und ist aktuell für 30% der Weltwirtschaft verantwortlich, Tendenz steigend. Dazu zählen nicht nur China, Indonesien, Thailand oder der Vietnam, sondern auch Australien, Japan und Süd-Korea. Die neue Freihandelszone kommt auf ein BIP von 26,2 Billionen US-Dollar. Und Indien steht mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern schon in der Warteschlange. Der südasiatische Staat hat bereits einen Teil der Verhandlungen mitgeführt, ist aber im letzten Jahr ausgestiegen. Das ist auf seine protektionistische politische Ausrichtung zurückzuführen. Sobald Indien sich aber einen Beitritt wünscht, ist dies wohl nur noch ein formaler Akt. Somit könnten wir in naher Zukunft im asiatisch-pazifischen Raum mit einer Freihandelszone mit fast 50% der weltweiten Wirtschaftsleistung konfrontiert sein. Kein Wunder, dass China den Abschluss als historischen Sieg feiert.
Quo vadis Europa, absteigender Ast oder aufsteigende Wirtschaftsmacht?
Demgegenüber steht eine Europäische Union, die kaum vom Fleck kommt. Schlimmer noch: Mit Großbritannienverlieren wir einen wesentlichen wirtschaftlichen Faktor. Die transatlantischen Beziehungenhaben unter Präsident Trump mehr als gelitten. Ob ein Präsident Biden wirtschaftlichen Aufschwung für Europa bedeutet, bleibt abzuwarten. Bei EU-Erweiterungen am Balkan stellt sich der französische Präsident quer und provoziert, dass sich Serbien, Montenegro oder Mazedonien anderweitig orientieren. Afrika scheint in Europa kein Thema mehr zu sein.
Auch bei eigenen Handelsabkommenstehen wir als Europa vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Umweltschutz, Sozialstandards, Menschenrechte, Schutz eigener Wirtschaftszweige, Schutz der Landwirtschaft, politisch korrekt, aber trotzdem erfolgreicher, offener und fairer Handel für Europa – alle diese Anforderungen haben ihre Berechtigung. Die Summe an Bedingungen nehmen uns aber jeglichen Verhandlungsspielraum. Mit einer wirtschafts- und freihandelsfeindlichen Haltung werden wir in der Welt an Bedeutung verlieren und letztendlich unseren eigenen Wohlstand aufgeben müssen. Quo vadis Europa, absteigender Ast oder aufsteigende Wirtschaftsmacht?