Die „Rede zur Lage der Union“ von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist bei uns im Europäischen Parlament der traditionelle Startschuss in den Herbst. Heuer ist es noch dazu eine besondere Rede, weil bis zur Europawahl am 09. Juni 2024 sind es nur noch etwa 9 Monate.

Welche Schwerpunkte hat Ursula von der Leyen für den Endspurt angekündigt und was bedeutet das für uns in Österreich? Ich habe die Rede im Straßburger Plenum verfolgt und bewerte die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte.

Von der Leyen will um Green Tech Jobs in Europa kämpfen

Im ersten Teil ihrer Rede legte die Kommissionspräsidentin einen Fokus auf Erhalt und Schaffung von grünen Jobs in Europa. Ihr Motto dabei laute „Green Tech Made in Europe“. Mit der Wind-Industrie dürfe nicht passieren, was mit der Solarindustrie passiert sei, nämlich eine Überschwemmung des Marktes durch (Dumping)-Produkte aus Asien. Von der Leyen schlug deshalb ein „Wind Package“ vor. Dieses soll für schnellere Genehmigungsverfahren und mehr Unterstützung der Windbranche in Europa sorgen.

Was sie hier leider nicht gesagt hat ist, dass es auch einen massiven Bürokratieabbau bedarf, damit unsere Firmen überhaupt wettbewerbsfähig produzieren können. Es wurde allerdings ein generelles -25% Paket angekündigt.

Klare Kante gegenüber China

Einen klaren Kurs kündigte die Präsidentin auch gegen E-Autos aus China an. Diese würden staatlich stark subventioniert zum Zweck, europäische Autobauer vom Markt zu drängen. Diese Praxis ist auch aus anderen Branchen bekannt und es ist hoch an der Zeit, dass Europa sich hier auf die Hinterbeine stellt. Frühere Anläufe scheiterten daran, dass manche Länder Angst vor Vergeltungsmaßnahmen Chinas hatten. Ich hoffe jetzt ist der Punkt erreicht, wo wir eine klare Linie in den Sand ziehen. Jetzt oder nie sozusagen. Was passiert jetzt? Die EU-Kommission wird eine Untersuchung gegen chinesische Elektroautos eröffnen, das ist dann Grundlage für hohe Importzölle, die auch vor der Welthandelsorganisation bestand haben.

Trotz dieser klaren Maßnahmen gegen das asiatische Reich der Mitte, verfolge die EU kein „Decoupling“ („Entkoppelung“) von China, sondern viel mehr ein „Derisking“ (Risikosenkung durch Diversifizierung). Man habe die Exportbeschränkungen Chinas auf bestimmte seltene Erden nicht vergessen.

Folgerichtig gibt es nun die strategische Entscheidung weitere Maßnahmen, wie einen „Critical Raw Materials Club“, zur Stärkung der strategischen Autonomie in diesem Bereich einzurichten. Das waren die richtigen Worte, das muss jetzt aber auch schnell in der Realität passieren. Das Problem war lange bekannt, wir haben leider schon genug Zeit verloren.

Weber kritisiert Kommunikation der Kommission

Der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber durfte als erster Redner im Plenum auf die Rede zur Lage der Union eingehen und nutzte die Bühne, um mit dem Politikstil der EU-Kommission hart ins Gericht zu gehen. „Die EU sollte den Leuten zuhören und ihn keine Ratschläge erteilen“ und „wir sollten in Geschäftsmodellen denken, nicht in Verboten“, gab der Bayer der Kommission mit auf den Weg. Als wichtigste Aufgabe für die EU unterstrich Weber die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft.

Es war die bayrisch-europäische Langversion von: Its the economy, stupid! Und er hat Recht, wir verlieren den Anschluss an China und Amerika.

Meine Meinung:

Kommissionspräsidentin von der Leyen hat die richtigen Themen angesprochen. Insbesondere der Schwerpunkt zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen. Schöne Überschriften helfen aber nicht, wir brauchen jetzt tatsächlich Entlastungen, weniger Bürokratie, niedrigere Energiepreise und regulatorische Stabilität – sprich nicht 100 neue Gesetze pro Jahr mit x Berichtspflichten. Noch ist (wenig aber doch) Zeit in diesem Mandat, um den Wirtschafts- und Industriestandort Europa wieder auf Kurs zu bringen. Da gilt es keine Zeit zu verlieren. Wenngleich es jedem klar sein sollte, dass dies der Fokus des Jahrzehntes sein muss, wenn wir unseren Wohlstand und Sozialstaat erhalten wollen. Das Geld muss am Weltmarkt verdient werden und hier haben wir eben starke Konkurrenz.

Ich befürworte daher die „Green Tech Made in Europe“ Strategie und den Aufbau einer „grünen“ Industrie in Europa voll und ganz. Diese neue Industrie aufbauen heißt aber nicht, alles andere zu deindustrialisieren. Wir brauchen beides. Eine Säule für Stabilität und eine Säule für Innovation und Aufbruch. Auch die dafür notwendige Autonomie Europas unterstütze ich.

Natürlich wäre mir ein offener Welthandel lieber, aber wenn man sieht wie die USA und China strategisch vorgehen, dann muss man darauf reagieren. Ich habe vor diesem Hintergrund bereits im letzten Jahr eine Anfrage an die Europäische Kommission zu kritischen Rohstoffen gestellt um die Abhängigkeit bei vielen Materialien zu hinterfragen. Heute wird die Parlamentsposition zum „Critical Raw-Materials Act“ beschlossen und wenn man sich ansieht, dass es wieder zig Bestrebungen gibt Abbau in Europa bzw. Import nach Europa so schwierig wie möglich zu machen, dann ist es schwer die Fassung zu behalten. Green Tech Made in Europe wird nur funktionieren, wenn wir auch die Rohstoffe haben, die wir zur Produktion benötigen.

Künftige EU-Erweiterung:

Anders als die Kommissionspräsidentin sehe ich das Thema EU-Erweiterung. Natürlich, es braucht die Perspektive und es ist auch unsere Verantwortung und in unserem Eigeninteresse Stabilität in Europa zu erhöhen.
Man sollte aber bei solchen Sachen vorsichtig sein, zu große Hoffnungen bei den Beitrittskandidaten auf einen kurzfristigen Beitritt zu schüren. In Anbetracht der derzeitigen Herausforderungen von Inflation, Krieg auf dem europäischen Festland und großen Herausforderungen für unsere Wirtschaft steht für mich eine große EU-Erweiterung von derzeit 27 auf mehr als 30 im Moment nicht zur Debatte. Die Westbalkan Staaten gehören zu Europa und haben für mich definitiv eine Zukunft in der EU. Der Vorschlag von Europaministerin Karoline Edtstadler über einen schrittweisen Beitritt („graduelle Integration“) ist hier wesentlich praxisnäher und liefert früher Resultate, die beiden Seiten nützen.

 

Fotocredit: EPP Group